Große
Erleichterung
Der Ersatz von Metall durch Kunststoff bietet großes Potenzial, um Fahrzeuge leichter und damit sparsamer zu machen. Um möglichst viele Komponenten aus Stahlblech und Aluminium ersetzen zu können, arbeiten die Ingenieure bei ElringKlinger nicht nur an klassischen Kunststoffen, sondern auch an innovativen Hybridwerkstoffen und den dafür benötigten Produktionsverfahren.
Es ist ein klarer Trend: Weltweit sinken die Grenzwerte für CO2-Emissionen und den Kraftstoffverbrauch von Fahrzeugen. Innerhalb der Europäischen Union wird ab dem Jahr 2020 für Neufahrzeuge ein Grenzwert von durchschnittlich nur noch 95 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer gelten. Da die CO2-Emissionen maßgeblich vom Fahrzeuggewicht beeinflusst werden, arbeiten die Ingenieure von ElringKlinger kontinuierlich an neuen Leichtbaulösungen für Antriebsstrang und Karosserie. „Um die Emissionsvorgaben zu erfüllen, müssen wir das komplette Potenzial ausschöpfen, das der Leichtbau bietet“, meint Klaus Bendl, der die Entwicklung im Geschäftsbereich Elastomertechnik und Module leitet. „Auch wenn wir schon viel erreicht haben, bieten sich noch einige Möglichkeiten, um die Komponenten von Fahrzeugen leichter und damit nachhaltiger zu machen.“
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist dabei der Ersatz von metallischen Bauteilen durch solche aus Kunststoff. „Seit etwa 15 Jahren arbeiten wir daran, im Antriebsstrang sukzessive Metall durch Kunststoff zu ersetzen“, berichtet Bendl. „Begonnen haben wir mit Modulen für die Zylinderkopfhaube. Dann ersetzten wir Bauteile in der Ladeluftstrecke durch Kunststoffteile. Heute geht es beispielsweise um Ölabscheidesysteme, Ansaugmodule oder Ölwannen aus Kunststoff – letztere sind besonders für den Einsatz in Nutzfahrzeugen interessant.“
Die Verwendung von Kunststoffen bietet dabei gleich einen doppelten Vorteil. Denn zum einen können bis zu 30 Prozent Gewicht eingespart werden – in manchen Fällen sogar bis zu 50 Prozent. Zum anderen lassen sich aber auch funktionale Vorteile erzielen: „Mit Kunststoff können wir weitaus komplexere Geometrien realisieren“, erläutert Bendl. „Durch die zusätzlichen Möglichkeiten, die der Kunststoff-Spritzguss bietet, können wir bei Fahrzeugkomponenten aus Kunststoff die Anzahl der einzelnen Teile so gering wie möglich halten.“ So gelang es beispielsweise, ein Kunststoff-Ölansaugmodul in einem einzigen Bauteil herzustellen – anstelle von bisher vier Komponenten. Schon bei der Entwicklung der Bauteile wird dabei auch die Fertigung berücksichtigt. Bendl und seine Kollegen profitieren hier vom Know-how des internen Entwicklungspartners Hummel, der die Spritzgusswerkzeuge herstellt. „Solche funktionalen Vorteile ergänzen die Gewichtsvorteile und machen in der Gesamtkalkulation unsere Leichtbau-Lösungen attraktiv“, sagt Bendl.
Ein neues Arbeitsfeld der Leichtbau-Experten ist mittlerweile auch die Karosserie. Im Fokus der Entwickler stehen hier vor allem Cockpitquerträger und Frontendträger aus Polymer-Metall-Hybriden. „Zur Herstellung dieser Strukturbauteile setzen wir die Hydroform-Hybridtechnologie ein“, berichtet Reinhard Müller, der Leiter des Geschäftsbereichs Elastomertechnik und Module. „Dabei handelt es sich um eine ganz neue Technologie, die derzeit kein anderer Zulieferer anbieten kann. Für uns ist das der perfekte Einstieg in den Karosserieleichtbau, denn wir erzielen dadurch nicht nur Gewichtsvorteile von 20 bis 30 Prozent, sondern können die Bauteile auch sehr wettbewerbsfähig herstellen.“
Das Metallrohr wird von einem Roboter ins Werkzeug eingelegt und mit kaltem Wasser gefüllt.
Das Wasser wird unter einen Druck von 600 bar gesetzt. Das Metallrohr erhält so die gewünschte Kontur.
In die Form wird mit 600 bar Druck flüssiger, 300 Grad Celsius heißer Kunststoff gespritzt. Dieser verfestigt sich in der Form und um das Rohr herum.
Das Hybridbauteil wird aus dem Werkzeug entnommen und den nachfolgenden Bearbeitungsprozessen zugeführt.
Bei der Hydroform-Hybridtechnologie (HFH) kommt ein Kombi-Werkzeug zum Einsatz, das Innenhochdruck-Umformen und Kunststoffspritzguss in nur einem Arbeitsschritt vereint. Ein Roboter legt ein dünnwandiges Metallrohr in das Werkzeug ein. Nachdem sich die Werkzeughälften geschlossen haben, wird der Innenraum des Rohrs mit kaltem Wasser gefüllt und unter einen Druck von 600 bar gesetzt. Dadurch verformt sich das Metallrohr und nimmt exakt die gewünschte Kontur an. Anschließend startet im selben Werkzeug der Spritzgussprozess.
Hierbei wird geschmolzener, 300 Grad Celsius heißer Kunststoff in den Hohlraum zwischen der Form und dem verformten Rohr eingespritzt. Der Druck beträgt dabei ebenfalls 600 bar. „Durch den Gegendruck im Inneren verhindern wir das Kollabieren des Metallrohrs während des Bearbeitungsprozesses“, erklärt Bendl. Nachdem das Bauteil ausgekühlt und damit formstabil ist, wird es wiederum von einem Roboter entnommen und den nachfolgenden Bearbeitungsprozessen zugeführt. So kann man eine Vielzahl von Kunststoffelementen in einem Arbeitsgang auf einem Cockpitquerträger oder Frontendträger anbringen und in ihre endgültige Form bringen. Bei metallischen Werkstoffen hingegen sind mehrere Arbeitsschritte notwendig, weil jedes Blechteil einzeln in Umformwerkzeugen hergestellt werden und anschließend von Schweißrobotern befestigt werden muss.
Polymer-Metall-Hybride verbinden die Stärken beider Werkstoffe. Dazu gehören nicht nur technische Aspekte wie eine hohe Form- und Maßgenauigkeit mit minimalen Toleranzen und eine gesteigerte Biege- und Beulsteifigkeit im Crashfall, sondern auch die Zeit- und Kostenersparnis, die aus der Integration mehrerer Verfahrensschritte in nur einen Arbeitsgang resultiert. Derzeit arbeitet das HFH-Team an Strukturbauteilen für die Märkte in China, Nordamerika und Südafrika; die Produktion am chinesischen Standort Suzhou ist bereits angelaufen. „Wir sind Ende 2014 bei einem ersten Automobilhersteller in Serie gegangen, und das Interesse weiterer Hersteller ist sehr hoch“, freut sich Müller. Eine weitere Fertigung am Standort Leamington (Kanada) ist daher bereits in Vorbereitung.
Die Ingenieure von ElringKlinger arbeiten an weiteren Leichtbau-Lösungen für die Karosserie, zum Beispiel an Strukturbauteilen aus Organoblechen. Anders als ihr Name suggeriert, haben Organobleche keinen metallischen Anteil, sondern bestehen aus einem Endlos-Glasfasergewebe, das in eine Polymermatrix eingebettet ist. Sie können vor allem dort verwendet werden, wo bei strukturellen und energieabsorbierenden Bauteilen Gewicht eingespart werden soll. Zur Herstellung eines Bauteils aus Organoblech wird das Glasfaser-Polymer-Halbzeug erwärmt, umgeformt und mit Kunststoff umspritzt.„Für uns ist die Hydroform-Hybridtechnologie der perfekte Einstieg in den Karosserieleichtbau, denn wir erzielen dadurch nicht nur Gewichtsvorteile von 20 bis 30 Prozent, sondern können die Bauteile auch sehr wettbewerbsfähig herstellen.“
„Komponenten aus Organoblechen sind so fest und belastbar wie Metall. Deswegen können sie auch in solchen Bauteilen die stützende Funktion von Metallen übernehmen, für die der Einsatz herkömmlicher Kunststoffe ungeeignet wäre“, erklärt Bendl die Vorzüge dieses Werkstoffs.
Erste Anwendungsbereiche von Organoblechen sind Sitzstrukturen, Pedale, Pedallagerböcke, Trittbretter und Crashelemente. Um den Verbundwerkstoff auch für weitere Karosseriebauteile einsetzen zu können, arbeiten die Prozessentwickler von ElringKlinger unter anderem an einer Verfeinerung der Verfahrens- und Umformtechnik. Denn Glasfasern sind nicht so dehnbar wie Bleche. Dennoch: Mit einem Gewichts-Einsparpotenzial von etwa 30 Prozent könnten in Zukunft Organobleche immer mehr Komponenten aus Stahlblech ersetzen und damit dazu beitragen, das Emissionsziel von 95 Gramm CO2 pro Kilometer zu erreichen.