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Ob im Spitzensport oder in der Wirtschaft: Auf die Geschwindigkeit kommt es an. Während Läuferinnen das Ziel haben, den Konkurrentinnen davonzueilen, hat ElringKlinger das hohe Tempo der sich wandelnden Automobilindustrie aufgenommen. Im Interview begegnen sich Alexandra Burghardt, Sprinterin und Anschieberin im Zweierbob, und Dr. Stefan Wolf, CEO von ElringKlinger.

Eben noch hat Alexandra Burghardt im Bundesstützpunkt Leichtathletik im Münchner Olympiapark trainiert, jetzt hat sich die Spitzensportlerin zu einem Gespräch mit Dr. Stefan Wolf, CEO von ElringKlinger, im Olympiastadion gleich nebenan getroffen. An dieser Stelle gewann die Sprinterin 2022 Staffelgold bei den Europameisterschaften, ein halbes Jahr zuvor stand sie bei den Olympischen Winterspielen in Peking als Silbermedaillengewinnerin im Zweierbob auf dem Treppchen. Ob auf der Tartanbahn oder im Eiskanal: In Sachen Tempo setzt Alexandra Burghardt Maßstäbe. Im Gespräch diskutiert sie mit Dr. Stefan Wolf darüber, warum Stillstand keine Option ist und wie es gelingen kann, die eigenen Stärken bestmöglich einzusetzen.

Frau Burghardt, wann kickt Sie das Tempo am meisten?

Alexandra Burghardt: Beim Sprinten in dem Moment, in dem ich aus dem Startblock heraus beschleunige und meine Top-Geschwindigkeit erreiche. In diesen wenigen Sekunden spüre ich, wie mit jedem Schritt die Kraft nach vorne geht. Es fühlt sich super an, wenn diese Kraft nicht verpufft, nirgendwo abgebremst wird.

Sie gelten als glänzende Starterin.

Alexandra Burghardt: Ja, deshalb genieße ich es ja so (lacht). Beim Bobfahren habe ich aber eine andere Dimension der Geschwindigkeit kennengelernt. Über die 100 Meter laufe ich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von ungefähr 33,5 km/h. Im Bob haben wir bis zu 130 Sachen drauf, wobei ich im Schlitten als Anschieberin dem Tempo ausgeliefert bin, verbunden mit einem einhundertprozentigen Vertrauen in meine Pilotin. Die Kräfte, denen ich im Bob ausgesetzt bin, sind einzigartig. Das geht bis zu einer g-Kraft von sechs oder sieben …

„Dass die Geschwindigkeit des Wandels weiter zunimmt, bewerten wir absolut positiv. Wir können dieses Tempo mitgehen.“

Dr. Stefan Wolf, CEO der ElringKlinger AG

… zum Vergleich, die schnellste Achterbahn in Deutschland hat einen g-Maximalwert von vier.

Alexandra Burghardt: Im Bob drückt es einem den Kopf nach unten. Da ist man nicht mehr Herr seiner selbst, so sehr spürt man die Kraft der Geschwindigkeit.

Herr Dr. Wolf, wann spüren Sie im Unternehmen Dynamik und Tempo?

Dr. Stefan Wolf: Ganz eindeutig beim Speed, mit dem aktuell die Elektromobilität vorankommt. Wir waren lange ein Zulieferer für den Verbrennungsmotor – das ist das klassische Geschäft der Automobilindustrie. Bereits vor 20 Jahren war aber für mich absehbar, dass es einen Wandel geben wird: weg vom Verbrenner, hin zu neuen, klimafreundlichen Antriebstechnologien. Daher haben wir schon damals begonnen, Innovationen für die Brennstoffzelle zu entwickeln, vor 15 Jahren kam dann die Batterietechnologie hinzu. Wir waren also sehr früh dran – und doch überrascht mich das Tempo dieses Wandels, das wir heute vor allem in Europa erleben. Und diese Dynamik wird ohne Frage weiter zunehmen. Aufgrund der Regularien, aber auch, weil die Menschen dieses Tempo verlangen, insbesondere die junge Generation.

Dr. Stefan Wolf und Alexandra Burghardt treffen sich zum Gespräch im Münchner Olympiastadion. An dieser Stelle gewann die Sprinterin 2022 Staffelgold bei den Europameisterschaften.

Frau Burghardt, Sie sind mit einem Elektroauto angereist.

Alexandra Burghardt: Genau. Ich fahre grundsätzlich sehr gerne Auto und stelle mit Freude fest, dass der Komfort der Elektromobilität in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Sowohl was das Fahren betrifft als auch die Qualität der Ladeinfrastruktur.

Dr. Stefan Wolf: Der Komfort muss stimmen, das ist die Grundvoraussetzung. Hinzu kommt, dass die Aspekte Klimaschutz und Nachhaltigkeit weiter an Bedeutung gewinnen. Die Techniken der Elektromobilität sind eindeutig unsere Zukunftsthemen. Dass hier die Geschwindigkeit weiter zunimmt, bewerten wir absolut positiv. Wir können dieses Tempo mitgehen.

Frau Burghardt, wenn man Sie vor dem Beginn eines Rennens beobachtet, erkennt man, dass Sie ganz ruhig werden und sich konzentrieren. Woran denken Sie in diesem Moment?

Alexandra Burghardt: Ich versuche, das Rennen noch ein letztes Mal vorab zu visualisieren, es vor meinem geistigen Auge durchzuspielen. Diese Methode habe ich bei der Arbeit mit meinem Mentaltrainer gelernt. In meinem Kopf spule ich einen optimalen Lauf ab, in dessen Verlauf ich das umsetze, was ich trainiert habe.

Laufen Sie vor Ihrem geistigen Auge immer eine neue Bestzeit – also schneller als 11,01 Sekunden über 100 Meter?

Alexandra Burghardt: Genau. Wenn ich das Rennen im Kopf abspule, dann laufe ich meinen Konkurrentinnen davon und erreiche das Ziel mit einer Zeit unter elf Sekunden. Das ist aber keine Träumerei, sondern Teil meines mentalen Trainings. Wenn ich meine beste Leistung abrufen will, dann muss ich mir vorher klarmachen: Du kannst das, das steckt in dir. Es bringt wenig, vor dem Rennen Selbstzweifel zu entwickeln. Mein Problem beim Sprint ist, dass ich nach meinen guten Starts hintenraus manchmal noch eingeholt werde. Es bringt wenig, vor dem Rennen Selbstzweifel zu entwickeln. Im Kopf visualisiere ich daher ein perfektes Rennen.

„Einen Plan zu haben – und diesen dann durchzuziehen, das ist das Erfolgsgeheimnis.“

Alexandra Burghardt, Sprinterin und Anschieberin im Zweierbob

Dr. Stefan Wolf: Sich Vorsprung zu erarbeiten und diesen zu halten, ist natürlich auch unser Ansporn, gerade in technischer Hinsicht. Ein Beispiel: Bei der Leistungsdichte, einem entscheidenden Kriterium in der Antriebstechnologie, liegen wir mit unseren Brennstoffzellenstacks weltweit vorne. Wer mit unseren Stacks eine Leistung von 200 kW erzeugt, benötigt dafür mit anderen der Konkurrenz das 1,5-fache Volumen. Wobei wir uns auf dieser Überlegenheit nicht ausruhen dürfen. Wir müssen hart arbeiten, um diesen Vorsprung mit den nächsten Stack-Generationen weiter auszubauen. Und da kommt es auch bei uns darauf an, die 10.000 Menschen, die für uns im Konzern tätig sind, positiv zu pushen: Wenn wir uns anstrengen, dann schaffen wir das! Denn wir sind gut – haben aber den Anspruch, noch besser zu werden.

Frau Burghardt, warum ist es für Sie wichtig, große Ziele im Auge zu haben?

Alexandra Burghardt: Von großen Zielen zu träumen, ist der erste Schritt, um diese dann auch zu erreichen. Ich werde vor großen Wettbewerben wie Welt- oder Europameisterschaften und Olympischen Spielen häufig gefragt, was meine Ziele sind. Ich stapele dann bewusst nicht tief. Was schon mal dazu führt, dass ich eines dieser gesteckten Ziele knapp verpasse. Dann heißt es schnell: Das war ein Rückschlag! Aber ich empfinde das nicht so. Wer Ziele erreichen will, der sollte sie auch offen aussprechen. Und wenn es dann mal knapp nicht funktioniert …

Dr. Stefan Wolf: … dann lernt man daraus, um beim nächsten Mal besser zu sein. Absolut richtig. Leider fehlt uns in Deutschland jedoch eine gute Kultur des Scheiterns, wie es sie in den USA gibt. Wenn es dort ein junges Start-up-Unternehmen nicht schafft, sagen sich die Gründer: Daraus lernen wir – und machen es beim nächsten Versuch besser. Aus dieser Kultur heraus entstehen permanent Ideen und Innovationen. In Deutschland dagegen hält sich im Fall eines Scheiterns hartnäckig das Etikett, versagt zu haben. Das ist in meinen Augen eine vollkommen falsche Einstellung. Denn gute Entwicklungen entstehen aus dem Spirit, Dinge zu probieren, aus Fehlern zu lernen und dadurch besser zu werden.

Frau Burghardt, Sie haben 2019 als Sprinterin den Trainer gewechselt. Der neue Coach hat Ihnen gesagt, Ihr Laufstil sei fehlerhaft, weil Sie sich bei jedem Schritt selbst bremsen. Wie haben Sie das erlebt, dass da jemand Neues kam und sagte: „Du läufst falsch“?

Alexandra Burghardt: Ich war heilfroh (lacht). Es ist ja positiv. Ich wusste nach dieser Analyse, dass ich noch viel Luft nach oben habe, und der Trainer konnte mir ganz konkret sagen, was ich tun muss, um mich zu verbessern. Diese Erkenntnis war sehr wertvoll. Auch wenn die Umsetzung ein wenig länger dauert, als ich im Vorfeld gedacht habe, nähere ich mich einem optimalen Laufstil immer weiter an. Der Traum vom perfekten Lauf lebt! Der Tag X, an dem ich die Elf-Sekunden-Marke knacke, wird kommen, darauf bereite ich mich vor. Ich arbeite weiter mental und habe Sprintschuhe mitentwickelt, habe meine Ernährung und meinen Schlaf optimiert. Ich betrachte meinen Körper als mein System. Er ist wie ein Fahrzeug, das im entscheidenden Moment alle PS auf die Straße bringen muss, und dafür braucht er natürlich den perfekten Kraftstoff.

Dr. Stefan Wolf: Nichts ist statisch, alles ist dynamisch. Das ist im Sport, in einem Unternehmen und in allen Bereichen des Lebens so. Was sich nicht bewegt, wird eines Tages verlieren – weil es sich nicht weiterentwickelt. Und hier sind wir wieder beim Thema Motivation: Es gibt Menschen, die dem Wandel skeptisch gegenüberstehen, weil sie denken: „Wir haben es doch jahrzehntelang auf die bewährte Weise gemacht und hatten Erfolg – warum soll das jetzt vorbei sein?“ So hätten Sie, Frau Burghardt, ja auch denken können, als Ihr neuer Trainer Ihren Laufstil infrage stellte. Im Unternehmen kommt es darauf an, die Menschen mitzunehmen, allen klarzumachen, dass wir unsere gemeinsamen Ziele nur durch Wandel erreichen. Bei Ihnen ist das Ziel eine Zeit von unter elf Sekunden. Bei uns im Unternehmen ist es ein nachhaltiges Wachstum mithilfe von Technologien, die helfen, eine klimafreundliche Mobilität zu gestalten.

„Jede Entscheidung ist eine Abwägung zwischen Chance und Risiko.“

Dr. Stefan Wolf, CEO der ElringKlinger AG

„Ich betrachte meinen Körper als mein System. Er ist wie ein Fahrzeug, das im entscheidenden Moment alle PS auf die Straße bringen muss.“

Alexandra Burghardt, Sprinterin und Anschieberin im Zweierbob

Alexandra Burghardt: Ein wichtiger Aspekt des Wandels war bei mir, mich von anderen Sportarten und Philosophien inspirieren zu lassen. Ich habe mir zum Beispiel Input aus dem Bereich des CrossFit geholt. Diese neuen Perspektiven verhindern, dass man statisch immer die gleichen Fehler wiederholt, statt sich dynamisch dem Optimum zu nähern.

Frau Burghardt, wie kam es dazu, dass Sie neben der Sprint-Karriere auch noch als Anschieberin im Zweierbob an den Olympischen Spielen teilgenommen und die Silber-Medaille gewonnen haben?

Alexandra Burghardt: Als Sprinterin auch Anschieberin im Bobsport zu sein, liegt recht nahe, weil es in beiden Sportarten auf Tempo und Beschleunigung ankommt. Ich wurde auch schon früher gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte, habe aber abgesagt, weil ich erst einmal in der Leichtathletik meine Ziele erreichen wollte, unbehelligt von Verletzungen. Als ich dann bei den Olympischen Spielen in Tokyo 2021 mein bislang stärkstes Jahr als Sprinterin hatte, kam die Anfrage erneut.

Haben Sie sofort zugesagt?

Alexandra Burghardt: Nein (lacht). Dieses Mal lautete mein Vorbehalt: Es läuft doch gerade so gut in der Leichtathletik, dass ich diese Entwicklung nicht aufs Spiel setzen will. Daran sieht man, dass es immer Argumente gibt, etwas nicht zu machen. Ich habe eine Nacht darüber geschlafen, habe mich mit den Menschen in meinem Umfeld beraten und schließlich die Entscheidung getroffen: Jetzt ist die Zeit dafür genau richtig! Jetzt probiere ich das aus, um etwas zu schaffen, was sonst noch nie jemand geschafft hat, nämlich innerhalb eines Jahres sowohl an den olympischen Sommer- als auch an den Winterspielen teilzunehmen. Also, raus aus der Komfortzone, ab ins kalte Wasser!

Dr. Stefan Wolf: Das, was man kann, an anderer Stelle einsetzen – einen solchen Moment hatten wir im Unternehmen auch. Wir stellen seit vielen Jahren als Weltmarktführer Zylinderkopfdichtungen für Verbrennungsmotoren her. Das sind dünne Metallplatten, die gestanzt, geprägt, wärmebehandelt und beschichtet werden. Die erste Großserie dieser Dichtungen hat das Unternehmen 1924 produziert, also vor fast 100 Jahren, für den Opel Laubfrosch. Oldtimer-Freunde werden das Modell kennen. Als vor einigen Jahren feststand, dass die Elektromobilität das Thema der Zukunft sein wird, standen wir vor der Frage, was nun aus unserem konkurrenzlosen Know-how in der Herstellung von Zylinderkopfdichtungen wird. Also haben wir überlegt, welche Prozesse wir bei der Herstellung dieser anspruchsvollen Dichtungen anwenden. Was können wir gut? Stanzen, prägen, wärmebehandeln und beschichten. Gibt es Teile in Brennstoffzellen, für die man dieses Know-how benötigt? Ja, man braucht hier metallische Bipolar-Platten, für deren Herstellung ein sehr ähnliches Wissen gefragt ist. Also haben wir dieses neue Terrain erobert, indem wir das, was wir besser als alle andere können, auf ein anderes Produkt übertragen haben. Das ging nicht ohne Widerstände und auch nicht ohne skeptische Stimmen im Unternehmen. Geschafft haben wir es trotzdem.

Alexandra Burghardt: Einen Plan zu haben – und diesen dann durchzuziehen, auch gegen Widerstände, das ist das Erfolgsgeheimnis. Es gab zu meiner Entscheidung, neben dem Sprint noch mit dem Wintersport zu beginnen, kritische Fragen. Aber als die Entscheidung stand, habe ich mich durchgesetzt. Und es hat funktioniert.

Dr. Stefan Wolf: Jede Entscheidung ist eine Abwägung zwischen Chance und Risiko. Als Spitzensportlerin, aber auch in der Führung eines Unternehmens. Am Ende muss man selbstbestimmt eine Entscheidung treffen, zu der man dann auch steht. Ob diese Entscheidung dann zum Erfolg führt oder nicht, das sieht man in der Wirtschaft und im Sport an den Zahlen. Manchmal sind die gut, manchmal weniger. Aber wenn man sich unsere Gesamtbilanzen anschaut, Frau Burghardt, dann stehen Sie als Leistungssportlerin und wir als Unternehmen ganz gut da.

Frau Burghardt, sind Sie durch die Bob-Karriere sogar zu einer besseren Sprinterin geworden?

Alexandra Burghardt: Die Bob-Karriere hat mich auf jeden Fall reicher gemacht: reicher an Erfahrungen, an Emotionen, an Bekanntschaften, an Empathie – und auch an handwerklichem Know-how. Man muss nämlich viel mehr selbst am Schlitten herumschrauben, als man glauben mag, der Inbusschlüssel war mein treuer Begleiter (lacht). Man spricht ja nicht umsonst von einem Erfahrungsschatz. Wenn ich auf der Sprintbahn neben den sieben anderen Athletinnen stehe, dann denke ich mir manchmal schon: Ich habe durch den Bobsport Dinge lernen und erfahren dürfen, die ihr nicht kennt.

Dr. Stefan Wolf: Ja, der Transfer ist das Wichtige. Man muss die Erfahrungen und das Know-how, sprich das Gute aus der einen Welt mitnehmen und es in der anderen Welt als Stärke einsetzen. Das ist dann die Basis für den Vorsprung, den man sich erarbeiten kann. Bei uns im Automobilsektor ist das letztlich nichts anderes.

Durch das Gespräch führte André Boße.