Die deutschen Automobilzulieferer und Maschinenbauer erwirtschaften den größten Teil des Umsatzes längst außerhalb ihres Heimatmarktes. Doch die für exportorientierte Unternehmen zentralen Aspekte wie Freihandel und Globalisierung geraten in vielen Ländern zunehmend unter Druck. Wie darauf zu reagieren ist, diskutiert Dr. Stefan Wolf, CEO von ElringKlinger, mit der TRUMPF-Familienunternehmerin Dr. Nicola Leibinger-Kammüller.
Treffpunkt war das Restaurant CUBE im Kunstmuseum Stuttgart.
ELRINGKLINGER ERZIELT DREI VIERTEL DES UMSATZES AUSSERHALB DEUTSCHLANDS, TRUMPF SOGAR VIER FÜNFTEL. WIE WICHTIG IST IHNEN IHRE HERKUNFT NOCH?
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Unser Stammsitz in Ditzingen ist nach wie vor der Nukleus der TRUMPF-Gruppe. Als Familienunternehmen fühlen wir uns sowohl dieser Gemeinde als auch dem Standort Deutschland verbunden und verpflichtet.
WOLF — Das entspricht unserer Haltung. Auch wenn wir mittlerweile börsennotiert sind, leben wir die Werte eines Familienunternehmens. Im Übrigen haben wir die gesamte Grundlagenentwicklung an unserer Unternehmenszentrale in Dettingen/Erms konzentriert – ein Bekenntnis zu Deutschland und unserem Ursprung.
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Auch bei TRUMPF ist der Stammsitz das weltweit wichtigste Entwicklungszentrum. Sicherlich aus dem gleichen Grund wie bei ElringKlinger: Hier haben wir hervorragend ausgebildete Mitarbeiter, nicht nur Ingenieure und Physiker, sondern auch hochqualifizierte Facharbeiter.
WOLF — Richtig. Eine erfolgreiche Globalisierung braucht einen Ankerpunkt. Von da aus kann man dann die internationalen Standorte entwickeln. Das begann bei ElringKlinger bereits in den 1960er-Jahren. Auf diesem Weg ist es auch möglich, unsere Grundwerte an allen Auslandsstandorten zu leben.
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Achtung voreinander und Fairness im Umgang miteinander sind für uns Werte, die wir überall auf der Welt leben wollen. Wir orientieren uns an den zehn Geboten, auch wenn uns das jeden Tag vor neue Herausforderungen stellt.
WOLF — Für uns sind Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit von wesentlicher Bedeutung. Nur in einer solchen Kultur können Menschen Probleme offen ansprechen und eine gemeinsame Lösung finden.
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Verlässlichkeit ist gerade in Krisensituationen extrem wichtig. Das gilt auch für den Arbeitgeber. In der letzten großen Krise 2009 haben wir niemanden entlassen – nirgendwo auf der Welt.
»In einer global verflochtenen Wirtschaft sind protektionistische Maßnahmen einzelner Staaten einfach nicht zeitgemäß.«
WELCHE ROLLE SPIELT TECHNOLOGISCHER VORSPRUNG AUF INTERNATIONALEN MÄRKTEN?
WOLF — Technologischer Vorsprung ist im internationalen Wettbewerb ganz entscheidend. Die gesamte Globalisierung in der Automobilbranche war nicht kosten-, sondern marktgetrieben. Maßgeblich dazu beigetragen haben die Investitionsentscheidungen der Hersteller, die ihre Produktion zunehmend ins Ausland verlagerten. Die Zulieferer zogen hinterher, weil sie naturgemäß nahe beim Kunden sitzen. Es gilt dabei jedoch, die Technologieführerschaft in Deutschland zu behalten. Was beim Verbrennungsmotor gelungen ist, muss auch bei den Antriebsformen der Zukunft, Batterie und Brennstoffzelle, gelingen. In neue Technologien sollte hierzulande viel mehr investiert werden, auch von Seiten der Bundesregierung.
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Eine einseitige Subventionierung funktioniert aber auch nicht, das zeigt die Solarbranche. Es reicht mir schon, wenn man uns Unternehmern den Rücken freihält von unsinnigen bürokratischen Themen. Wir haben dann schon die Innovationskraft, Technologieumbrüche selbst herbeizuführen. So wie damals, als mein Vater erkannte, dass die klassische Blechbearbeitung durch den Laser gefährdet sein könnte. Seine Schlussfolgerung: Wir müssen die besten Laser haben und für Werkzeugmaschinen applizieren.
WOLF — Aus ähnlicher Motivation heraus arbeiten wir seit 20 Jahren an der Brennstoffzelle und seit elf Jahren an batterieelektrischen Antrieben. Damals haben wir noch 95 Prozent unseres Umsatzes mit dem Verbrennungsmotor erzielt. Doch dieser Markt wird nach den Jahren 2021/22 schrittweise zurückgehen. Deshalb haben wir frühzeitig unser Portfolio mit Produkten für alternative Antriebsformen weiterentwickelt und uns über die Jahre Know-how aufgebaut. Ein Beispiel sind Bipolarplatten für Brennstoffzellen, deren Produktion sich nicht grundlegend von Zylinderkopfdichtungen für Verbrennungsmotoren unterscheidet. Die Brennstoffzellentechnologie besitzt großes Potenzial, diesen Markt wollen wir mitgestalten.
WO SEHEN SIE DENN FÜR IHR UNTERNEHMEN UND IHRE BRANCHE JEWEILS DIE SPANNENDSTEN MÄRKTE, DIE SICH DERZEIT ERÖFFNEN?
WOLF — Bei uns liegt der Fokus klar auf Asien. Die Fahrzeugmärkte in Europa und in den USA sind gesättigt. Der chinesische Markt ist auch schon weit entwickelt und normalisiert sich derzeit. Allerdings weisen andere asiatische Länder wie Malaysia, die Philippinen oder Thailand zum Teil erhebliche Wachstumsraten auf, auch weil dort zunehmend eine Mittelschicht entsteht. In diesen Ländern ist das Auto ein Statussymbol für den neu gewonnenen Wohlstand.
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Und wo die Menschen Autos kaufen, werden auch Mikrowellengeräte und Bankautomaten angeschafft. Die Hersteller solcher Geräte müssen Bleche bearbeiten – und sind damit potenzielle Kunden für uns. Deshalb haben wir ebenfalls die asiatischen Märkte im Fokus. Aber Deutschland bleibt auch wichtig, es ist immer noch unser größter Einzelmarkt.
WIR ERLEBEN ZUNEHMEND POLITISCHE UND WIRTSCHAFTLICHE ABSCHOTTUNG. WIE STARK BETRIFFT SIE DAS?
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Bislang läuft das Amerika-Geschäft gut, auch wenn die Stahlpreise leicht gestiegen sind. Größere Sorgen macht uns derzeit England. Wir fertigen dort Faserlaser, die überwiegend nach China exportiert werden. Die Komponenten für die Laserproduktion stammen zum Teil aus dem Ausland – und werden nun seit Monaten gehortet.
WOLF — Wir sind dagegen vom Protektionismus in den USA deutlich betroffen. Ein Beispiel: Für unsere Zylinderkopfdichtungen beziehen wir in den USA produzierten Stahl, den wir wiederum in Georgia verarbeiten. Doch weil für die Produktion des hochwertigen Edelstahls Rohmaterialien aus China benötigt werden, die es in den USA gar nicht gibt, schlagen sich die Zölle nieder, sodass der Stahlpreis im Ergebnis um 25 Prozent gestiegen ist. Das ist absurd! In einer global verflochtenen Wirtschaft ist Protektionismus einfach nicht zeitgemäß.
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Und es geht nicht nur um Preise. Die Grenzen, die in den Köpfen entstehen, sind noch schlimmer als die wirtschaftlichen Auswirkungen des Protektionismus. Es ist doch ein Riesenglück, dass wir uns innerhalb Europas frei bewegen konnten. Das trägt auch zum Frieden bei. Und das soll wieder aufgegeben werden? Abgesehen davon brauchen wir dringend ein vereintes Europa, wenn wir im internationalen Wettbewerb mit Amerika und China bestehen wollen.
WOLF — Das Zusammenwachsen war und ist die Intention der Europäischen Union. Auf den Binnenmarkt und die Währungsunion sollte die politische Union folgen. Doch derzeit gehen wir in die falsche Richtung. Wenn sich das nicht ändert, werden wir links von den USA und rechts von China überholt. Wir müssen den Menschen klar machen, dass wir unseren Wohlstand in einem globalen Wettbewerb langfristig nur halten können, wenn wir in Europa zusammenrücken, statt auseinanderzudriften.
»Wir brauchen ein vereintes Europa, um im internationalen Wettbewerb mit Amerika und China zu bestehen.«
WIE SIEHT IHRE PERSÖNLICHE VISION DER GLOBALISIERUNG IM JAHR 2029 AUS?
LEIBINGER-KAMMÜLLER — Ich wünsche mir ein starkes, reformiertes Europa, weltweit freie Märkte und offene Grenzen. Zudem technische Lösungen, um das Klima effizient zu schützen. Was unser Unternehmen betrifft: TRUMPF ist im Jahr 2029 deutlich gewachsen und viel stärker in Asien.
WOLF — Auch ElringKlinger wird eine stärkere Position in Asien haben. Der Transformationsprozess in der Mobilität schreitet voran. Effiziente Antriebstechnologien und autonomes Fahren werden sich in Teilen der Welt durchgesetzt haben. Zudem wird die digitale Vernetzung die Welt weiter verändern.
DURCH DAS GESPRÄCH FÜHRTE JOHANNES WINTERHAGEN.
Internationalität ist Dr. Nicola Leibinger-Kammüller buchstäblich in die Wiege gelegt: Sie wurde 1959 während eines mehrjährigen beruflichen Aufenthalts ihres Vaters Berthold Leibinger in Ohio, USA, geboren. Nach ihrem Studium der Germanistik, Anglistik und Japanologie stieg sie 1985 in das Familienunternehmen ein. 2005 übernahm sie den Vorsitz der Geschäftsführung der TRUMPF GmbH + Co. KG, der Führungsgesellschaft der TRUMPF-Gruppe. Die Unternehmerin engagiert sich nicht nur für soziale und kulturelle Einrichtungen, sondern ist auch Mitglied mehrerer Aufsichtsräte, unter anderem bei Siemens und Axel Springer.